Achtsamkeit ist in den letzten zehn Jahren zu einem Modewort geworden, und das aus gutem Grund. Achtsamkeit ist kraftvoll und kann uns helfen, präsenter, glücklicher, fokussierter und vieles mehr zu werden.

Wenn Du jedoch neu im Kosmos der Achtsamkeit bist, kannst Du bei all dem Marketing, das Du online findest, leicht auf falsche Ideen kommen. Da sind Bilder von Menschen, die vollkommen im Frieden mit sich selbst und der Welt sind, voller Glückseligkeit, einfach, indem sie ein paar Minuten lang stillsitzen und meditieren… Sehr schöne Bilder, doch sie sagen nicht ganz die Wahrheit.

Achtsamkeit ist kraftvoll, und Du solltest sie unbedingt praktizieren. Doch tu dies nicht blind. Du solltest schon auch wissen, was vor sich geht.

Hier also ein paar ehrliche Worte zur Achtsamkeit.

Achtsamkeit ist schwer.

Die Achtsamkeitsmeditation kann Dich nervös machen. Du möchtest aufstehen, etwas anderes tun, Deinen Tag planen, Dich in Deine Arbeit stürzen, ein paar Nachrichten beantworten, nach etwas suchen, das Du unbedingt jetzt sofort wissen möchtest.

Achtsamkeit ist schwer, und genau das ist ein guter Grund, sie zu praktizieren.

Achtsamkeit ist chaotisch.

Du fängst an zu meditieren. Vielleicht meditierst Du jeden Tag, und du fühlst Dich großartig. Dann lässt Du nach, hast vielleicht Schwierigkeiten, wieder anzufangen, und beginnst, Dich schlecht fühlen. Vielleicht passiert das wieder und wieder.
Vielleicht meditierst Du regelmäßig, hast aber Probleme, den ganzen Tag über achtsam zu sein, besonders wenn Du isst oder Dich mit anderen unterhältst. Du wirst besser darin, tatsächlich präsent zu sein, aber nur in Schüben und Wellen. Das Lernen wird alles andere als reibungslos verlaufen.

Achtsamkeit ist chaotisch, genau wie das Leben. Wir können uns der “ganzen Katastrophe des Lebens” (J. Kabat-Zinn) zuwenden und seine Unordnung akzeptieren, wenn wir mit diesem Chaos üben.

Achtsamkeit ist unangenehm.

Still zu sitzen und sich den Empfindungen des gegenwärtigen Moments zu stellen, kann langweilig sein. Dieser Juckreiz, der gerade jetzt auftaucht und den Du kratzen musst. Du wirst den Drang haben, etwas anderes zu tun, zu planen, zu lösen. Denn das sind unsere üblichen mentalen Gewohnheiten. Und diesem Drängen nicht zu folgen, kann sehr unangenehm sein.

Achtsamkeit ist unbequem, weil wir uns diesen alten mentalen Mustern so selten bewusst zuwenden. Aber das ist genau der Grund, warum Achtsamkeit so kraftvoll ist.

Achtsamkeit zieht Dir den Boden unter den Füßen weg.

Nehmen wir an, Du praktizierst seit einigen Monaten Meditation und denkst, jetzt hast Du den Dreh raus. Doch alles, was Du über Meditation weisst, kann durch eine neue Entdeckung oder ein Gewohnheitsmuster, das sich offenbart, auf den Kopf gestellt werden. Darauf muss man gefasst sein.
Nach weiteren Monaten denkst Du vielleicht, dass du einiges gelernt hast. Dann liest du ein Buch oder hörst einen Vortrag von einem Lehrer, und auch dies wird dir weggerissen. Immer wieder werden Deine neu gewonnenen Erkenntnisse durcheinander gewirbelt, und das kann jedes Mal sehr erschütternd sein.

Achtsamkeit kann erschütternd sein, wenn alles wieder und wieder auf den Kopf gestellt wird. Und auch das ist Teil der Magie. Denn das Gefühl, auf festem Boden zu stehen, ist eine Illusion, und mit der Tatsache des Nichtwissens umzugehen, ist eine unglaubliche Übung.

Achtsamkeit erfordert eine Menge Übung.

Du wirst an Meditation (oder jeder anderen Achtsamkeitspraxis) scheitern, wenn Du das erste Mal beginnst. Du kannst es nicht „richtig machen“. Du schaffst es nicht, deine Aufmerksamkeit sehr lange auf irgendetwas zu richten. Es ist kontinuierliches Üben, ohne jemals das Gefühl zu haben, genau zu wissen, was Du tust. Du übst und übst und übst … und übst dann noch mehr. Du kannst Fortschritte machen, nur um herauszufinden, dass Du noch so viel mehr lernen musst.

Achtsamkeit braucht eine Menge Übung, und es ist eine tolle Sache, sich dafür zu öffnen.

Du denkst, du machst es falsch, und wirst immer wieder scheitern.

Das fühlt sich nicht besonders gut an. Die gute Nachricht ist, dass kaum einer wirklich weiß, was zum Teufel er da tut, und es wird sich oft nicht besonders gut anfühlen. Die nächste gute Nachricht ist, dass es sich auch gar nicht gut anfühlen soll, und mit der Zeit wirst Du die Vorstellung akzeptieren können, dass Du Dir nie ganz sicher bist. So ist das Leben. Doch wir geben normalerweise den äußeren Umständen die Schuld (oder denken, dass etwas mit uns nicht stimmt), anstatt diese allumfassende Ungewissheit als einen grundlegenden Teil unseres Lebens zu akzeptieren, dem wir uns öffnen und den wir sogar lieben können.

Achtsamkeit zeigt Dir alle Deine „Fehler“. Du wirst durch Achtsamkeitspraxis lernen, dass Du nicht so diszipliniert bist, wie Du es gerne wärst. Du bist nicht so außergewöhnlich, zäh, kompetent, geschickt. Dies wird beim Üben deutlich.

Du wirst all Deinen Dämonen gegenüberstehen. Und irgendwann wirst Du Dich mit ihnen anfreunden.

Du fängst an zu denken, dass andere Menschen achtsamer sein sollten… und das ist falsch.

Wenn Du beginnst, achtsamer zu werden, und Deine Gewohnheiten und Muster und Gedanken immer bewusster hervortreten… wenn Du immer öfter ganz in die Gegenwart eintauchst… wird es Dir klarer, wenn andere Menschen nicht achtsam sind. Und Du denkst dann vielleicht, dass sie auch üben sollten, dass sie ihre Handys weglegen und präsenter sein sollten. Du denkst, Du weißt, wie andere achtsam sein sollten, weil Du einiges gelernt hast


Und dann wirst Du erkennen, dass das Verurteilen anderer und der Gedanke, dass Du weisst, wie sich andere verhalten sollten, nur das alte Denkmuster ist, zu urteilen und zu versuchen, die Kontrolle zu erlangen. Du wirst lernen, das manchmal auch loszulassen … und wenn Du das tust, wirst Du offener dafür sein, Dich mit anderen verbinden.

Es erfordert mehr als Achtsamkeit.

Während Du übst, wirst Du feststellen, dass Achtsamkeit nicht die Antwort auf alles ist. Achtsamkeit löst Probleme nicht auf magische Weise. Sie ist eine kraftvolle Praxis und kann wunderbares Bewusstsein in Dein Leben bringen. Aber manchmal bezieht sich dieses Bewusstsein auf all die schrecklichen Dinge, die Du fühlst, all die harschen Gedanken, die Du über Dich selbst hast, all die strengen Gedanken, die Du über andere Menschen oder die Welt um Dich herum hast. Bewusstsein fühlt sich nicht immer gut an! Und es löst nicht alles.

Achtsamkeit ist nur ein Teil der Arbeit. Die Arbeit erfordert auch Mitgefühl – für sich selbst und andere. Sie erfordert Verletzlichkeit und die Fähigkeit, Dein Herz zu öffnen. Sie erfordert Ehrlichkeit und die Bereitschaft, Dich den Dingen zu stellen. Sie erfordert die Bereitschaft, die Dinge so zu lieben, wie sie sind, ohne die Dinge kontrollieren zu wollen. Sie erfordert, den Gedanken loszulassen, wie Deiner Meinung nach die Dinge sein sollten oder was Du meinst, haben oder nicht haben zu sollen. Die Arbeit erfordert die Bereitschaft, neugierig zu sein, offen zu sein, im Nichtwissen zu bleiben.

Achtsamkeit ist eine schöne Arbeit und erfordert Mut. Ich lerne gerne zusammen mit Dir und freue mich, mit einem weiteren Entdecker und einer weiteren Entdeckerin auf dieser abenteuerlichen Reise zu sein.